Montag, 4. Juni 2007

ahnenhof

IMAG0001

sonntagsanruf in der seniorenresidenz:
oma, ich hab hier ein altes bild gefunden von dir, da sitzt du so an einem fliegenpilztisch und sprichst zu einem zwerg...
ach! ja! da bin ich in den urlaub gefahren, nach bacharach. bacharach am rhein! da gab es so einen märchenpark, mit allen märchen die man so kennt. das war wunderschön!
mit wem warst du denn da?
alleine!
alleine?
ja. ich hatte damals ja immer nur sehr wenig urlaub. und da bin ich für ein paar tage nach bacharach in so eine kleine pension gefahren und habe mir jeden tag etwas anderes angeschaut.
aber jemand muss doch das foto von dir und dem zwerg gemacht haben?
ich hatte eine kamera mit selbstauslöser.
ach so. ich finde, ich sehe dir ziemlich ähnlich auf dem foto.
ja, das kann sein.

meine rührende oma anna fährt also im alter von 21 jahren nach bacharach am rhein, denkt sich ach, heute mal zum märchenpark, sieht dort einen zwerg auf einem fliegenpilzstuhl an einem fliegenpilztisch sitzen und findet, das wär doch ein lustiges foto. installiert, aufwändig wie das damals bestimmt noch war, den apparat und setzt sich in szene. dafür, dass sie sich dachte, dass das ein lustiges foto wäre, guckt sie ziemlich ernst, fast ein bisschen traurig, und der zwerg nimmt auch keine notiz von ihr, er liest gerade.

dieses bild bricht mir echt das herz, meine oma, in einem mantel, allein im märchenpark, noch keine ahnung davon, dass sie einmal vier kinder haben wird, dass sich ihr mann, den sie damals vermutlich noch nicht kannte, denn sonst wäre sie wohl mit ihm hingefahren, umbringen wird, dass sie in 70 jahren in der seniorenresidenz am volksgarten in lütgendortmund sitzen und beim bingo eine flasche rotwein gewinnen wird.

meine andere oma, die schon tot ist, war total anders drauf. sie fuhr mehrmals im jahr ins kleinwalsertal, ohne mann und kind, und hatte da den spaß ihres lebens. ihre urlaubsbilder zeigen sie auf tischen tanzend, mit luftschlangen um den hals, sektflasche in der hand, rauchend, schnaps prostend, 1000 verschiedene männer. kein selbstauslöser. geschichten zufolge schrieb sie, wenn ihr das geld ausging, nach hause: abgebrannt! bitte geld schicken! - den brief an den rändern angekokelt und einen abgebrannten streichholz im umschlag, was sie anscheinend für einen irren scherz hielt. mein opa schickte ihr dann ein paar hundert mark und sie konnte noch eine woche länger party machen.
meine mutter sagt oft missbilligend, dass meine schwester und ich genauso seien wie ihre mutter.

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